Montag, 23. September 2024

KZ Buchenwald

Chillig wachte ich auf, es war erst 10 Uhr. Ich ließ mir Zeit, Torsten und die anderen waren unterdessen schon gefahren. In der Ferne konnte man einen Turm sehen. Ich hatte mir sagen lassen, das sei der Glockenturm vom KZ Buchenwald. Nun, wenn ich mir schon nie eine Stadt anschaue, wo meine Konzerte stattfinden, dann sollte ich doch wenigstens mal so etwas anschaun. Die Stunde hin oder her macht meine Heimfahrt nun auch nicht wesentlich länger. Also machte ich das Naglfar startklar und fuhr los, den Wegweisern zur Gedenkstätte nach.

Die Straße aus Betonplatten führte hinter in den Wald. Sie hieß "Blutstraße" - ein höchst düsterer Name. Ob sie schon immer so hieß? Der Wald allemal war licht und hell, freundlich, die Sonne schien. Dann war ich am Ortsschild. Ich fuhr weiter und kam bald an einen großen Parkplatz, wo ich das Naglfar parkte und ausstieg.

Hier war schon ein Info-Point, eine Jugendbegegnungsstätte und ein Cafe. Eigentlich musste ich mal, aber ich mochte hier jetzt nicht rein gehen und mich in Klos oder Duschräume begeben . Ich würde dann später lieber eine Autobahnraststätte anfahren.

Nun hab ich ja schon wilde Gruselgeschichten gehört, dass an so einem Ort kein Vogel mehr pfeifen würde. Es gab wenigstens schon mal Vögel, denn ich fand auf dem Boden eine Feder. Sie war von einer Taube, aber Tauben pfeifen ja nun eh nicht wirklich . Ich hörte aber auch kein Gurren. Ich lauschte. Es stimmte: Kein Vogel sang. Aber es war ja auch mittags kurz nach 12, da singt eigentlich sowieso nirgendwo ein Vogel. Vögel singen in den Morgenstunden oder am Abend, ansonsten so tagsüber eigentlich gar nicht, nirgendwo. Ich passte später extra auf als ich durch Dörfer und Wälder fuhr bis zur Autobahn: Da sang auch kein Vogel. Also was ist denn das schon wieder für eine Verschwörungstheorie *piep piep Vogel* ?

Das Gelände war bisher recht unspektakulär, lediglich ein paar modern sanierte Häuser waren zu sehen. Ich kam an einen Plan und staunte: Tatsächlich standen nur noch wenige Gebäude, der gesamte Rest war längst abgerissen - insbesondere sämtliche Gefangenenlager und Baracken, da sah man gar nix mehr, alles dem Erdboden gleichgemacht. Schade! ...und: warum denn? Gerade das hätte mich interessiert: die Schlafsäle, die Pritschen und vor allem die Verbrennungsanlagen. Alles weg, als wollte man Beweise vernichten.

Ich las die Info-Tafeln: "Baracke, errichtet zwischen 1948 und 1950..."
Aha.

Äh ... Moment mal: wann genau? 1948? Da waren doch die Nazis längst weg?!
Ach, die Sowjets nutzten das Lager und die Gebäude weiterhin? Da wird's mir ja fast schlecht: zu was denn? Ach, für 28.000 Männer, Frauen und Jugendliche? Ja, wie: jüdische? ...oder deutsche? ...und wofür lagerten sie die da?

Das hör/les ich heut zum ersten Mal. Warum wird sowas nicht aufgearbeitet und in Erinnerung gerufen und gegen das Vergessen der sowjetischen Lager aufgerufen?

"Speziallager" nannte es die Sowjets? Na freilich, im 3. Reich hieß es auch nicht "Konzentrationslager", sondern "Arbeitslager". Ich hör heute noch meinen Großvater über allerlei "Gammler und Hottentotten" schimpfen: "arbeitsscheues Gesindel!" und dass man solche ins "Arbeitslager" stecken sollte, damit sie "das Arbeiten lernen". Das war damals halt so die vorherrschende Moral: Fleißige Arbeit galt als eine Tugend, und wer nicht arbeitete, sollte auch nicht essen. So mussten die Gefangenen für die Rüstungsindustrie schuften. Dass es dann im Arbeitslager irgendwann trotz Arbeit nichts mehr zu essen gab, lag wohl auch an dem Umstand, dass es ab einem gewissen Zeitpunkt in ganz Deutschland nichts mehr zu essen gab. Meine Oma nannte das immer "die schlechte Zeit". Wenn es schon für die "anständigen Leute" nicht mehr reichte, ist ja irgendwie logisch, dass man tatsächliche und vermeintliche Kriminelle nicht mehr versorgte.

Wie gesagt: Sämtliche Baracken und Gefangenenhäuser sind eingeebnet. Hier fand ein gewaltiger Umbau statt, als wollte man - statt zu erinnern - alles Böse einfach weg-beschönigen.

Leider sind auch die Häuser der deutschen bzw. sowjetischen Kommandanten schön saniert mit modernen Kunststofffenstern und frischem Bodenbelag. Ich denke, wohl nicht einmal die Dampfheizung ist noch original, ist mit schönen Thermostaten ausgestattet und sieht auch eher aus, als wär sie erst in den 1960ern eingebaut worden. Wie nett, da wollte man ja fast drin wohnen! Eine superschöne Aussicht auf die ganze Gegend hat man da auch, also echt heimelig.

Das ganze düstere Flair ist jedenfalls weg .

Natürlich wurde das Tor neu gestrichen, sonst wäre es wohl längst verfallen und zerstört. Die Uhr war auf 15:15 Uhr stehen geblieben, zu dem Zeitpunkt des Fotos war es erst mittags. So ohne Baracken dahinter sieht das Gebäude doch echt nett aus, man könnte einen Zoo dahinter erwarten oder einen Kur-Park.

...und so ohne Baracken und überhaupt generell ohne alles Wesentliche kann man dem Spruch in der Tür eigentlich sogar noch zustimmen . Das Tor war abgesperrt, den Spruch konnte man nicht von vorn fotografieren, ich streckte die Hände mit dem Handy durch und machte ein Selfie, drum passte der Spruch nicht ganz aufs Bild.

Was ist schlimm dran, wenn das Schlimme alles entfernt wurde? Was kann man sich da noch in "Erinnerung" rufen, außer Vorgestelltes und Fantasien? Doch: Es erschien mir fast, als sei das hier das Ziel gewesen - Austilgung der Realität, Vernichtung der Tatsachen.

Nur noch im Modell kann man das Lager sehen, aber da sieht es auch nicht recht viel anders aus als eine Stadt.

Außen steht noch ein Stacheldrahtzaun, aber den find ich jetzt auch nicht so markant, weil fahrt mal nach Katterbach bei Ansbach, wo heute noch die Amis stationiert sind. Da sieht's nicht recht viel anders aus, nur der Zaun ist doppelt so hoch und dick. Ach, man braucht gar nicht nach Katterbach fahren, es reicht auch schon die Nürnberger Mannertstraße: Um heutige Gefängnisse sind noch ganz andere Mauern gezogen!

Naja, es war Sonntag und nicht viel los. Eine Festivalbesucherin, die am Freitag schon dort gewesen war, zeigte uns im Camp Fotos auf ihrem Handy von aufgeschlichteten Schuhen der KZ-Häftlinge, die dort ausgestellt waren. Aber die war wahrscheinlich auch im Museum. So auf die Schnelle (ich hatte ja heute noch ne lange Heimfahrt vor mir) fand ich hier gar kein Museum und so besichtigte ich nur die Außenanlagen. Das Gelände war so großflächig, man hätte ein Fahrrad brauchen können. Aber zu Fuß war's nur ein großes Gelatsche und man sah nichts als schön renovierte Häuser, die man überall anderswo auch sieht.

Also besonders berührt hat mich das jetzt nicht, oder fehlt mir einfach nur der Sinn? Ich fuhr los und kam alsbald aus dem Buchenwald hinaus. Da lag eine wunderschöne Gegend vor mir, so schön, dass ich extra anhielt um sie zu fotografieren.

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