Samstag, 29. November 2025

Seminar in Bad Soden

Die Kollegin und ich liegen in den letzten Zügen - was unser Berufsleben betrifft. Kollegin ist noch 2 Jahre jünger als ich, aber ich zähle nun schon die Monate wie im Knast: noch 16 bis zur Rente . Drum durften wir zwei nun ein Seminar besuchen "Rente - und dann?". Ist ja nicht so, dass ich das nicht wüsste, schließlich warte ich seit meinem 18. Lebensjahr auf diesen Termin , aber ich freute mich trotzdem arg auf das Seminar, denn da kann ich bestimmt was draus mitnehmen.

Ich fuhr am Mittwochmorgen mit dem Röhrle bis in die Ortschaft, wo die Kollegin wohnte und parkte dort auf den Park&Ride-Platz. Ich mummelte das Röhrle ein und spannte die Folie über die Frontscheibe: Tschüß, Röhrle, da stehst du jetzt 2 Tage! Dann setzte ich mich in das Bahnhofscafé und kaufte mir einen Kaffee. Bald kam die Kollegin, die die Bedienung natürlich kannte, wie das auf'm Dorf halt so ist, wo jeder jeden kennt; bestimmt ist sie nun längst das Dorfgespräch, welch sonderbare Kollegen (mich ) sie doch hat.

Wir seilten uns aus dem Café und fuhren mit der Bummelbahn (Regionalexpress) erst mal nach Würzburg. Da stemmte ich im Zug meinen neuen Koffer, den ich mir eigens dafür gekauft hatte, hinauf auf die Garderobe. Die Kollegin musste mir helfen, weil allein schaffte ich's kaum (null Kondition hab ich mal wieder ): "Ist der schwer, was ist denn da drin?"
"Naja, Klamotten und mein Laptop..."
"Du hast einen Laptop dabei?"
"Na freilich! Du net?" Businessclass fahren und keinen Laptop dabei haben? Wo gibt's denn sowas?

In Würzburg stiegen wir um in den ICE nach Frankfurt, 1. Klasse. Da hatten sie alle einen Laptop dabei, also...! "Hast du echt keinen Laptop dabei?" fragte ich die Kollegin . Also da tät ich mich ja genieren, wenn ich keinen Laptop dabei hätt .
Ich ließ meinen Laptop aber im Koffer, denn viel zu selten fahre ich mit der Bahn, da wollte ich doch zum Fenster raus gucken. Außerdem hatte ich mir am Bahnhof in Würzburg ein schönes Metal-Heftchen gekauft. Da fährt ein ICE - alle lesen sie Business-Insider, Capital und Börsennachrichten, bloß 1 Passagier liest einen Artikel über Knorkator und sagt: Grrrph !

In Frankfurt mussten wir umsteigen. Am Bahnhof standen Grüppchen von Zeugen Jehovas. Die haben sich jetzt auch schon digitalisiert und halten ihre Tablets hoch. Aber analoge Wege zum Himmelreich bieten sie schon auch noch an, der Wachtturm ist jetzt die Offenbarung in verschiedenen Sprachen und natürlich voll woke.

Wir fuhren weiter mit der S-Bahn und kamen an in Bad Soden. Noch 15 min Fußweg durch den Park und dann waren wir am Hotel. Da startete dann gleich das Seminar mit lauter alten Leuten, die angehenden Rentner. Es waren recht lustige Leute, alle sehr intelligent, 6 Männer und 6 Frauen, eine toll zusammen gewürfelte Gruppe. Das Seminar wurde dann auch schon am ersten Tag recht lustig und endete noch ganz arg lustig in der Hotelbar.

Ich schlief eigentlich wunderbar . Wegen Wohnmobilerei bin ich in einer Facebook-Gruppe, die heißt "Hotelbettenallergiker". Drum hatte ich mir extra so einen alten, roten Lippenstift mitgenommen und malte mir eine Allergie auf . Da bekam ich dann in der Gruppe die Tipps, dass ich doch im Foyer schlafen könnte, das käme dem Campen immerhin sehr nahe oder dass ich mir die Hand sofort amputieren lassen sollte .

Ich war aber mit meinem Zimmer recht zufrieden. Es ist halt nicht zuhause und es ist nicht mal Naglfar, aber "so" konnte man nicht meckern.

Besonders das Essen war geil! Ich hab ja nun extra im September und Oktober Diät gemacht, denn das hab ich auf mich zukommen sehen! Vorweihnachtszeit ist Fresszeit. Es wär ja auch echt schad, hier nicht ins Buffett reinzufallen und sogar noch was übrig zu lassen, also das geht ja gar nicht!


Das Seminar wurde immer lustiger. Wir bildeten 3er-Grüppchen und beantworteten einen Fragenkatalog, z.B: "Was wollten Sie werden als Sie 16 waren?" Was wollte ich werden? Automechanikerin! Aber meine Mama sagte dann: Das iss nix für 'n Mädchen, da brechen die Fingernägel ab und man stinkt nach Öl. Öl de Cologne, ist doch geil ! Der Kollege schoss im Workshop aber den Vogel ab: Er wollte damals noch Frauenarzt werden . Was?? Alternativ wollte er Schreiner werden, aber leider habe er so gar kein handwerkliches Geschick, nur zwei linke Hände, erzählte er, und so landete er in der Verwaltung.

Büroangestellte, die wir alle sind, mussten wir natürlich sofort auf das "Wacken der Büroangestellten", wenn da ja schon eins war . Heute, und nur heute, hatte sie in Bad Soden auf dem Messer-Platz nahe des Bahnhofs ein paar Buden aufgestellt und schenkten Glühwein aus. Da standen wir dann, guckten uns die Buden an, tranken einen Glühli und noch einen Glühli. Auf dem Heimweg kamen wir dann durch den Park, da war - Überraschung! - ein Glühweinstand und da mussten wir natürlich gleich stehen bleiben, um zu vergleichen, welche Glühwein nun der Bessere war . Der Rest des Abends verscholl dann in der Hotelbar . Die Hotelbar war bald absolut voll, weil eine Menge Neuankömmlinge eingetroffen waren. Es sickerte durch, das seien "die Lehrer". Einer der Lehrer hatte ein schwarzes T-Shirt an mit gelber Schrift, drum quatschte ich den gleich an, denn ich dachte schon, es sei ein Knorkator-Schriftzug. Nein, es war ein anderer witziger Spruch, aber der Lehrer kannte natürlich Grrph! .

Am nächsten Tag wurde das Programm straff organisiert. Es tagte hier nun nämlich der Kongress der Philologen (Grrph!!! ) und ca. 120 Lehrkräfte hatten sich im großen Saal dafür eingefunden, denn der Minister von ...Hessen? BaWü? ach, von irgendeinem Bundesland, eben, sollte dazu kommen, um sich den Anträgen der Philologen (Grrph!) und Lehrer zu stellen. Drum wurde es zeitweise sehr laut, wenn die 120 Personen in der Pause im Foyer standen, und auch der Speisesaal musste sorgfältig eingeteilt werden.

Aus dem Fenster unseres Seminarraums konnte ich sehen, wie da hinten zwei Securitys durch den Seiteneingang in das Hotel kamen. Dezent verdrückten sie sich gleich irgendwohin, damit sie nicht auffielen. Jetzt kam gleich der Minister! Unsere Gruppe hatte nun Pause, und als wir im Foyer beim Kaffeetrinken standen, kam da endlich der Minister mit seinem Gefolge die Treppe herunter. Verstohlen fotografierte ich den Staatsbesuch hinter meiner Kaffeetasse hervor, drum hab ich sie auch allesamt unkenntlich gemacht, weil ich traute mich nicht hingehen und nach Fotografier-Erlaubnis fragen. Aber ich glaub, das sind ja auch VIPs und Personen des öffentlichen Lebens, die darf man fotografieren .

Am Freitag seminierten wir noch bis Mittag. Die Kollegin und ich entschieden uns für das Mittagessen vor Ort - wir hätten auch ein Lunchpaket mitnehmen können, aber lieber nicht. Gepackt hatten wir schon, unsere Köffer waren im Seminarraum abgestellt und nach dem Essen machten wir uns gleich auf zum Bahnhof der S-Bahn.

Da lag der Messer-Platz finster und kalt, keine Bude stand mehr, alles war weg.

Wir gingen zum Bahnhof und warteten auf die S-Bahn, aber siehe da, wer da kam: Der Lehrer! Noch immer hatte er das schwarze T-Shirt mit dem gelben Schriftzug an, kurze Ärmel, keine Jacke. Ja, er war der Meinung, der Mensch hätte das Frieren nur anerzogen bekommen, weil die Mütter zu den kleinen Kindern schon sagen: "Zieh deine Jacke an", aber das sei eigentlich gar nicht nötig, denn der Körper erzeuge genügend Eigenwärme. Aha, heißer Typ, ja ja. Ich widersprach lieber nicht, besonders auch, weil er sogleich begann, allerlei fremde Leute um sich rum philologisch zu beglücken und in einer Tour redete.

In Frankfurt stiegen alle um, und jeder nahm einen anderen Zug, einer nach Dortmund, einer nach München, und die Kollegin und ich nahmen dann lieber unseren geplanten ICE nach Würzburg eins später.

"Komm, fahren wir einfach weiter … bis Wien" juxte ich: "an Klamotten und Zeug haben wir ja alles dabei". Gegen 21 Uhr würden wir in Wien ankommen, träumten wir, stiegen dann aber doch in Würzburg aus.

Freitagnachmittags, alle fuhren von der Arbeit und Schule jetzt nach Hause, in Nürnberg war zudem heute noch die Eröffnung des Christkindlesmarkts, da war absolut der Teufel los, und Massen von Leuten waren unterwegs. Der Regionalzug ab Würzburg war proppenvoll, kaum noch ein freier Platz war zu kriegen, aber wir quetschten uns mit unseren Businesstickets noch in die 2. Klasse auf einen Sitz, alles war voll besetzt. Die Kollegin und ich guckten aus dem Zugfenster. Der Nachmittag war bereits düster geworden, Dörfer und Häuser schossen an uns vorbei, auf einer Wiese in der Ferne grasten drei Rehe. Wir sinnierten vor uns hin.
"Frauenarzt wollte der werden..." fiel mir wieder ein.
"Wer? Der Doppellinkshänder?" antwortete die Kollegin und fing an zu kichern.
"Allmächd, ja, steht vor der Höhle und hat nur zwei linke Hände" *lach lach lach*
"...der Grobmotoriker" sagte die Kollegin und prustete los.
Wir kriegten uns nimmer ein und verfielen bald in einen gigantischen Lachflash.
"...aber dann hat er sich doch für die Verwaltung entschieden, muaahahahaha!" Tränen haben wir gelacht, immer wieder noch ein Wort eingeworfen und noch mehr gelacht als gerade eben noch. "Ich mach gleich in die Hos'... huhuhu hahahaha". Zwei Sitze weiter fing dann einer an mitzulachen. Er wusste zwar nicht, worum's ging, aber der lachte, weil wir beide so herzhaft lachten und bald lachte das ganze Abteil. Mann, war das lustig, ich lach jetzt noch, wenn ich dran denk, selten so gelacht .

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