Um 11 Uhr nahm ich zum Frühstück gleich 7 Tropfen vom Antidepressivum. Später um 14 Uhr wollte ich mir nochmal ne Ladung von mind. 10 Tropfen reinpfeifen, um dann halbwegs gewappnet bis um 15 Uhr in die Arbeit zu gehen. Mich hat's gegraust vor heut und ich konnte nachts auch kaum schlafen.
Gegen halbzwölf bekam ich einen Anruf. Es war die Zeitarbeits-Disponentin, die fragte, wie es mir denn jetzt nach der Krankheit ginge. "Ja, geht schon" antwortete ich, und: "Ich geh jetzt dann später wieder rein." "Brauchen Sie nicht." meinte sie: Der Einsatz ist zu Ende und die Zeitarbeit wird mich wahrscheinlich kündigen.
Das heißt, ich muss da wirklich nicht mehr rein? Ich kann es gar nicht glauben!
Ich brauchte eine Weile, um das überhaupt zu begreifen; dann lief ich los, hinter zum EWS, und kaufte eine Flasche Sekt. Für diesen besonderen Tag plante ich schon seit langem ein kleines Ritual, lasst euch erzählen:
Es war 2 Tage vor Weihnachten, ich war noch relativ neu in der Spedition, hatte noch tolle Pläne von wegen, ich würde mich dort fest übernehmen lassen, könnte dann vielleicht noch einige Jährchen bis zu meiner Rente mitnehmen und wollte mich noch beweisen und integrieren. Als ich an dem Tag an den Arbeitsplatz kam, lag ein eingepacktes Geschenk auf meinem Schreibtisch. "Oh, wie schön, ein Geschenk!" freute ich mich anständig und versuchte, nett und dankbar rüber zu kommen. Ich packte es aus und stellte es demonstrativ vor meinen Bildschirm, damit die Chefin sah, dass es angekommen ist und ich mich drüber freue, wie es sich gehört.
Als die Chefin dann an meinen Schreibtisch kam, zuckte sie regelrecht zusammen vor Entsetzen. Ich hör noch heute meinen Namen in dem empörten Ton ihrer Stimme klingen. Wie ein kleines Kind stand sie neben mir und ließ ihrer Enttäuschung freien Lauf: ...dass ich mir angemaßt hatte, das Geschenk schon jetzt - 2 Tage vor Weihnachten - auszupacken, womit ich auch für die anderen die ganze Überraschung vernichtet hatte, die nämlich dasselbe gekriegt hatten und nun wussten, was es war, oh Schreck, oh Gott, oh weh!
Bei der Szene wäre ich am liebsten in Grund und Boden versunken.
Ich hab mich so geschämt!
Ich wollt in Ohnmacht fallen, so peinlich war mir das, aber leider blieb ich bei Bewusstsein.
Ich krieg das Skurrile daran heute noch nicht in meinen Kopf: dieses billige Ding von einem Kerzenständer, wahrscheinlich aus irgendeinem 1-€-Shop, 3 lumpige Teelichte lieblos mit Tesafilm angepappt, in irgendein Geschenkpapier eingewickelt ... bitte, soll das auch was sein? Abgesehen davon: Ich erwartete ja gar nichts und war mir bewusst, dass Weihnachtsrituale in Firmen reine Anstandsangelegenheiten sind. Ich wollte meine "Dankbarkeit" ja auch nur "richtig machen", wie es sich eben gehört, und dann bringt die da so eine Szene?
Verzweifelt ramschte ich die Kerzen wieder irgendwie zurück in das Geschenkpapier, versuchte es wieder einzupacken, dass es keiner mehr sah - bitte, bitte: rückgängig! Undo, undo, schnell! - ich wusste im Moment gar nicht mehr, was ich tun sollte, so geschämt hab ich mich...
Ich versteh auch bis heute nicht, was denn jetzt so schlimm dran ist, dass ich es ausgepackt habe: Wie alt simmer denn? Hat die erwartet, dass man das jetzt unter den Weihnachtsbaum stellt, ein Kerzchen anzündet, "oh du Fröhliche" singt, Geschenke auspackt und vor Überraschung zerfließt, wenn man ihren tollen Kerzenhalter auspackt? Was ist denn bitte das für eine infantile Dimension? Ich komm da nicht rüber und kann diese skurrile Szene echt bis heute nicht einordnen. Dieser Kontrast zwischen Erwartungen, Gesinnung und Verhaltensnormen ist so tief, dass ich es echt nicht verarbeiten kann. Versteh ich einfach nicht.
Ja gut, dieser Arbeitstag vor Weihnachten ging auch vorbei.
Ich hatte den Kerzenhalter zuhause und bewahrte ihn im Regal auf, irgendwo hinter den Büchern. Eines Tages würde ich ihn noch brauchen - und dieser Tag war heute!
Ziemlich verstaubt war er schon, der Kerzenhalter, nach der langen, dunklen Zeit im Regal - viel zu viel Staub drauf. Ja, ich weiß: Ich sollte meine Dinge einfach eher klären, noch bevor sie so viel Dreck ansetzen; aber andererseits habe ich halt auch immer die Hoffnung, es könnte sich noch zum Guten wenden und versuche durchzuhalten, mach mir alles mögliche vor und überschätze bzw. überfordere auch meine eigene, seelische Kondition.
Mit einem lauten Knall warf ich den Kerzenhalter auf den Boden im Hof. Die Scherben flogen wirklich weit bis in die hintersten Ecken. Eigentlich schön, dass das Ding zerbrechlich war! Das Geklirr war so laut, dass von ein paar Häusern weiter irgendeine Nachbarin rüber rief: "kaputt!"
Ich kehrte all die Scherben wieder zusammen auf einen Haufen. Dann nahm ich die Sektflasche. Eigentlich wollte ich sie sachte aufmachen, aber der Korken flog mit lautem Knall im hohen Bogen hinter die Blumenkübel. Ich spritzte den Sekt über die Scherben und goss mir ein Glas ein.
Das muss ich jetzt echt erst mal begreifen, dass diese Episode meines Lebens vorbei ist. Dazu brauch ich noch ein paar Tage...
Nachtrag: Ich hab dann heute auch meinen Blog überarbeitet und den Spitznamen der Chefin entfernt, weil die Sache ist gelaufen und ich will hier ja niemanden beleidigen.
Montag, 30. Mai 2011
ich hab's hinter mir!
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4 Kommentare:
Tja, so im Nachhinein muß man wirklich sagen, dass Deine Chefin definitiv was am Helm hat. Irgendeine Persönlichkeitsstörung, oder so!.
Hätte nicht gedacht, dass sie so extrem reagiert und Deine Befürchtungen sich bewahrheitet haben.
Aber folgt auf die Beendigung Deines Arbeitseinsatzes gleich automatisch die Kündigung der Zeitarbeitsfirma?
Was ist, wenn die doch noch irgendwas anderes für Dich auftun und Du feststellst, dass Du mit dem Aufgabengebiet gut klar kommst und die neuen Arbeitsbedingungen wesentlich angenehmer sind als die alten?
Das glaub ich nicht, dass die mich behalten, aber wenn, versuch ich's natürlich. Ich rechne aber heute, spätestens morgen mit einer Kündigung im Briefkasten.
dann könntest Du Dich in diesem Falle ja weiterhin den Renovierungsarbeiten an Deinem Haus widmen ;)
Also langweilig wird's mir garantiert nicht! :-)
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